Sieben Kilometer hinter Ogrodniki verlassen wir Polen und überqueren ohne Kontrolle die polnisch-litauische Grenze, ganz in der Nähe von Weißrussland. Schengen sei Dank. Wir fahren durch wunderschöne Wälder und sind bald im südlichsten und größten der drei Baltikumstaaten. Unser Roadtrip durch Litauen kann beginnen.
Zahlreiche Flüsse (ungefähr 750), viele Waldgebiete (ein Drittel des Landes), streng katholische Litauer (2,8 Mio. Menschen) und geschichtsträchtige Gebäude erwarten uns.
Mittlerweile ist es Nachmittag und nach den ersten beiden sehr langen Fahrttagen durch Deutschland und Polen, sehnen wir uns alle nach einem coolen Zeltplatz zum Entspannen. Am besten an einem See zum Baden und viel Platz zum Radeln. Kurzerhand ändern wir unseren Plan heute noch nach Vilnius zu fahren ab und genießen endlich wieder die typische Roadtrip-Flexibilität: Anhalten wo man will.
Schnell finden wir einen idyllisch gelegenen Campingplatz im Regionalpark Meteliai. Der 1992 gegründete Park ist ein Natur- und Kulturschutzgebiet und umfasst rund 177 Quadratkilometer Land und drei Seen. Hier haben die Kids viel Platz zum Radeln, Spielen, Toben und Baden. Perfekt für eine kleine Roadtrip-Pause.
Tagesausflug nach Vilnius und Trakai
Am nächsten Tag schwingen wir uns wieder in den Blazer und machen einen Tagesausflug in die Hauptstadt Vilnius. Natürlich aber erst nach einem ausgiebigen Bad im See und einem langen Frühstück in der Sonne. Auf einer Decke am Boden versteht sich. Ach, wie gut tut Zelten.
Der Mittelpunkt Europas ist ein teures Pflaster
Rund zwei Stunden sind wir unterwegs bevor wir unser Auto in Vilnius parken. Auf der Hinfahrt haben wir unsere Chance genutzt und an der Landstraße viele, leckere Pilze gekauft.
Das Wetter ist großartig, als wir die größte Altstadt Nordosteuropas erkunden, in der unglaubliche 50 Kirchen zu finden sind. Wir bewegen uns in der Mitte Europas, wobei der geografische Mittelpunkt des Kontinents streng genommen eine halbe Autostunde nördlich von Vilnius liegt.
In der litauischen Hauptstadt kommt man sich schnell underdressed vor, alle sind top gestylt. Es gibt exquisite Boutiquen und schicke Cafés und es bleibt die Frage: Wie können sich die Litauer das alles leisten?
Denn man muss wissen, dass der Durchschnittslohn im Land bei ungefähr 900 Euro im Monat liegt. In den ländlichen Gegenden herrscht oft große Armut, besonders bei der älteren Bevölkerung. Deshalb wird so lange gearbeitet wie es geht. Das bedeutet es sind hauptsächlich die jungen Leute, die gut ausgebildet sind und zwei oder drei Jobs haben, die sich das teure Stadtleben leisten können.
Gotisches Ensemble
Insgesamt ist die Atmosphäre sehr entspannt und wir lassen uns glücklich treiben. Wir entdecken zahlreiche Secondhandshops in kleinen Gassen, wo ich auch zwei tolle Leinenkleider erwerbe. Weiter führt uns der Stadtbummel zum berühmten gotischen Ensemble. Ein ungleiches Paar bestehend aus der filigranen, gotischen Annakirche und der schlichten, massig wirkenden Bernhardinerkirche nebenan.
Ansonsten dominierten in Vilnius eher barocke Gotteshäuser. Eine Besonderheit stellt die erzbischöfliche Kathedrale St. Stanislaus am Kathedralenplatz dar. Mit den schneeweißen Säulen erinnert sie eher an einen griechischen Tempel. Schöner Kontrast: Viele Jugendliche nutzen den gut asphaltierten Platz zum Skaten. Deshalb bietet sich eine kleine Verschnaufpause zum Staunen und Bewundern an.
Wir stärken uns mit verschiedenen litauischen Spezialitäten in einem urigen Restaurant unweit des Rathausplatzes. Es gibt deftige Pfannkuchen mit Fleisch- und Pilzfüllung (Blynai) und Cepelinai, ein gekochter und gefüllter Kartoffelknödel, der mit viel Speck, Schmand und Zwiebeln bedeckt ist. Die Kids sind eher skeptisch und es ist alles sehr fleischlastig, aber ausgesprochen lecker.
Ehemalige Hauptstadt Trakai
Das kleine Städtchen Trakai, ungefähr 30 Kilometer westlich von Vilnius gelegen, war ehemals Hauptstadt des litauischen Reiches. Auf unserem Nachhauseweg machen wir nur einen kurzen Stopp, da wir noch zwei Stunden Fahrt vor uns haben.
Dass es sich bei der gotischen Inselburg um ein beliebtes Ausflugsziel handelt, ist nicht weiter verwunderlich. Malerisch gelegen, eingebettet zwischen vier verschiedenen Seen, ist sie besonders bei Seglern und historisch Interessierten beliebt. Doch im Sommer kommen auch viele Touristen für einen kleinen Spaziergang zur ältesten erhaltenen Wasserburg Europas.
Kurische Nehrung in Litauen – ein Traum?
Selbstverständlich war die Kurische Nehrung von Anfang an fester Bestandteil unserer Baltikum-Tour. Obwohl Litauen nur knapp 100 Kilometer Küste hat, zählt dieser Abschnitt zu den schönsten Ostsee-Landschaften überhaupt: Endloser Sandstrand, klares Meer, hohe Kiefernwälder, kleine Fischerdörfer und eine bis zu 70 Meter hohe, eindrucksvolle Wanderdüne.
Nachdem wir ein kurzes Stück mit der Fähre auf die andere Seite übergesetzt sind, den teuren Nationalparkeintritt gezahlt haben (ein Tag später wäre Nebensaison gewesen) und die einzige Straße Richtung Süden nach Nida fahren, kommen uns schon unzählige Wohnmobile entgegen. All die kleinen Örtchen und Fischerdörfer werden von Touristen belagert und ich ahne nichts Gutes. Dennoch freue ich mich unglaublich darauf, endlich ins Meer zu springen.
Leider zum Abgewöhnen
Die Kurische Nehrung ist heute zweigeteilt und nur der Norden gehört zu Litauen. Der südliche Part ist Teil der Exklave Kaliningrad. Und dementsprechend viele russische Touristen trifft man auch im litauischen Nida, nahe der Grenze, an. Hier liegt unser Campingplatz, unweit des Ortes wo Thomas Mann sein kleines Sommerhäuschen hatte. Der Zeltplatz ist voller Wohnmobile und Busse; vereinzelt sind auch ein paar Zelte zu entdecken. Die Menschen (überwiegend Deutsche, Russen und Polen) sind größtenteils unsympathisch, laut und unserem Blazer gegenüber etwas, sagen wir, misstrauisch eingestellt. Ich fühle mich beobachtet und unwohl.
Dass es landschaftlich sehr schön ist, kann selbst ich nicht leugnen. Und das abendliche Bad in der hier so tollen, wilden und klaren Ostsee hat sich mehr als gelohnt. Gegen einen weiteren Strandtag morgen hat eigentlich auch keiner etwas, doch die Stimmung, den Lärm und die Enge auf dem Campingplatz ertrage ich keine Nacht länger als nötig. Auf Grund des Naturschutzgebietes ist Wildzelten verboten und somit auch keine Option.
Am nächsten Morgen regnet es und das spiegelt ziemlich gut meine Stimmung wider. Nass packen wir das Zelt zusammen und ich kann es nicht erwarten endlich hier zu verschwinden.
Wir stoppen noch kurz in Nida und kaufen Proviant im überfüllten Bäcker. Auf die Besichtigung des Thomas-Mann-Hauses verzichte ich, da ich nicht mit dutzenden Senioren in einer Warteschlange stehen will.
Berg der Kreuze als Symbol des nationalen Widerstands
Weiter geht die Fahrt auf unserem Roadtrip durch Litauen Richtung lettische Hauptstadt Riga. Wir fahren von der Ostseeküste wieder ins Landesinnere und legen eine Fahrtpause beim Berg der Kreuze, im Norden Litauens, ein.
Seit über 600 Jahren haben Pilger hier unzählige Kreuze auf dem Berg hinterlassen. Mit seiner geringen Höhe von 10 Metern ist es eigentlich ein kleiner Hügel und mittlerweile gar nicht mehr als solcher zu erkennen; zu viele Kreuze stehen oder hängen hier. Ursprünglich war es ein politisches Symbol gegen die kommunistische Herrschaft der Sowjets in Litauen. Doch auch heute noch hinterlassen viele Menschen an diesem Wallfahrtsort christliche Symbole, um ein Zeichen für die baltische Unabhängigkeit zu setzen. Ein stiller, religiöser Protest, dem auch die russischen Bulldozer von 1961 nichts anhaben konnten. Insgesamt viermal wurde in den 1970er und 1980er Jahren eine Zerstörungsaktion des russischen Regimes durchgeführt, doch stets erfolglos. Bereits am nächsten Tag waren neue Kreuze zu sehen. Und so erinnert der Berg der Kreuze heute noch eindrucksvoll an den nationalen Widerstand.
Fazit
Wir verlassen dieses abwechslungsreiche Land bei strömenden Regen. Doch wie viele sonnige Stunden durften wir hier erleben. Egal, ob in den Wald- und Seenlandschaften, der imposanten Hauptstadt oder an der beeindruckenden Kurischen Nehrung.
Leider war es nicht ganz so einsam wie ich es mir erhofft habe. Aber wen wundert es mitten in den Sommerferien. Auch im Juni oder September sind die Temperaturen noch zum Baden geeignet und hinsichtlich des Besucherandrangs sicherlich die bessere Wahl.