Roadtrip durch Estland: Mix aus Kunst und Natur

Nach den baltischen Staaten Litauen und Lettland geht es mit unserem Blazer immer weiter an der Ostseeküste entlang Richtung Norden nach Estland. Die Straßen, insbesondere die kleineren Nebenstraßen, sind einiges besser in Schuss als in Lettland und wir kommen gut voran. Viele Fahrzeuge sind jetzt mit Zusatzscheinwerfern und Kuhfängern ausgerüstet. Unser Roadtrip durch Estland führt uns zunächst nach Saaremaa, die größte von über 1500 Inseln in Estland. Hier wollen wir drei Nächte bleiben und uns ein bisschen vom Fahren erholen. Wandern, Baden und die Ruhe in der Natur genießen. Also steuern wir direkt den Hafen von Virtsu an und verkürzen uns die Wartezeit auf die Fähre mit dem Snacken von getrocknetem Fisch.

Kurzurlaub auf Saaremaa, Estlands größter Insel

Die Fähre fährt angenehm oft und bringt uns in 45 Minuten auf die Insel Muhu, von der eine erhöhte Straße weiter auf die Insel Saaremaa führt. Wir fahren ungefähr 1,5 Stunden an tausenden Heuballen vorbei bis wir einen sehr schönen Campingplatz im Südwesten von Saaremaa gefunden haben.
Klein, aber alles sauber und liebevoll gestaltet. Viel ist zum Glück Ende August nicht los, trotzdem kommt es hin und wieder zu einer kleinen Schlange vor der einzigen Toilette oder der Dusche. Dafür gibt es eine Waschmaschine, Wäscheleinen, eine kleine Küche, Sauna, Grill- und Feuerstellen und für die Kids ein Trampolin, Spielplatz und einen Basketballkorb. Außerdem wartet das Meer gleich um die Ecke, auch wenn es keine perfekte Badestelle ist. Viele Steine im Wasser und durch das Schilf riecht es etwas modrig. Doch zum Muscheln und Steine suchen ist der Ort perfekt. Auch der Lenkdrachen kommt hier endlich zum Einsatz, da wir gefühlt die ganze Küste für uns haben.

Am ersten Tag kaufen wir in der Inselhauptstadt Kuressaare etwas ein und schauen uns die Bischofsburg aus dem 14. Jahrhundert an. Danach faulenzen wir, waschen Wäsche und spielen auf dem Campingplatz Basketball. Doch bereits am zweiten Tag ohne Weiterfahren wird mir etwas langweilig und ich habe Lust etwas zu unternehmen. Andere Urlauber mit Kindern haben uns von einer tollen, etwas abenteuerlichen Wanderung erzählt, die sehr verlockend klingt.

Abenteuerliche Wanderung im Vilsandi Nationalpark

Nach einigen Umwegen finden wir endlich den Ausgangspunkt im Vilsandi Nationalpark, der als ältestes Naturschutzgebiet des Baltikums gilt. Der Wanderweg ist ungefähr fünf Kilometer lang und führt immer wieder durch flaches Wasser und mehrere kleine Eilande bis man die Insel Vilsandi erreicht. Meist sind es tiefere Pfützen mit sehr matschigem und steinigen Untergrund, die durchquert werden müssen. Das Wasser steht an diesen Stellen und ist deshalb angenehm warm; riecht dafür etwas modrig. Zwei tiefere Stellen, darunter eine Wasserstraße, müssen auch durchquert werden. Das macht am meisten Spaß, sollte allerdings in der Vorbereitung mit einkalkuliert werden. So waren die Schwimmflügel für unseren Kleinen notwendig, da die Wassertiefe ungefähr 1,10m betrug. Hier gibt es auch ein bisschen Strömung, doch die meiste Gefahr geht von hindurch rasenden Booten aus. Wie wir leider feststellen mussten…

Unterwegs gibt es ein etwas gewöhnungsbedürftiges Picknick: Lettisches Schwarzbrot mit Rosinen aus Riga und dazu geräucherter Aal von Saaremaa. Ich spüle alles mit viel Wasser hinunter und zu meinem Erstaunen hat es ganz gut geschmeckt.
Die Wanderung ist sehr anstrengend und insbesondere für unsere Füße eine Herausforderung. Ich laufe normalerweise sehr gerne barfuß, doch nach fünf Stunden über spitze Steine, abgebrochenes Schilf und tiefen Schlamm sind auch meine Fußsohlen überreizt. Selbst schuld wenn man die Wanderschuhe nicht opfern will und so bleibt nur Augen zu und durch. Selbst unser dreijähriger Sohn läuft die Hälfte allein, bevor wir ihn danach immer wieder auf die Schultern setzen.
Kurz vor Erreichen unseres Ausgangspunktes dann der nächste kleine Schock: Ein lautes Motorengeräusch, das wir aber zunächst nicht zuordnen können. Von hinten nähert sich ein riesiger Traktor mit Anhänger. Schnell weichen wir zur Seite aus und er tuckert munter an uns vorbei. Am Parkplatz treffen wir ihn wieder und müssen lachen: Dagegen sieht unser Blazer wirklich wie ein Spielzeugauto aus.

Auch sonntags haben kleine Supermärkte auf Saaremaa geöffnet und wir halten auf dem Rückweg zum Einkaufen. So können wir abends lecker Fisch grillen und Gurkensalat mit viel Dill dazu essen.
Als wir am nächsten Morgen unsere Sachen zusammen packen sind die Kids sehr wehmütig und ich kann es gut verstehen.

Der Roadtrip durch Estland geht weiter nach Tallinn

Doch der Roadtrip durch Estland geht weiter und wir steuern die Hauptstadt Tallinn an. Zuerst müssen wir die Unterkunftsfrage klären und wir versuchen unser Glück beim City Center Garden Camping, nur 20 Minuten von der Altstadt entfernt. Hier können auch Zimmer oder bereits aufgebaute Zelte gemietet werden. Der Standort ist super, die Unterkunft mit 35 Euro pro Nacht im eigenen Zelt aber völlig überteuert. Dennoch bleiben wir hier zwei Nächte, um möglichst viel von Tallinn zu sehen.

Abendlicher Spaziergang zum Domberg

Vom Freiheitsplatz aus schlendern wir auf den Domberg, der als Wahrzeichen von Tallinn gilt. Wir bestaunen die alte Burg aus dem 13. Jahrhundert mit dem Langen Hermann (größter erhaltener Turm der Anlage), die orthodoxe Kathedrale, die Domkirche und begutachten den Sitz des estnischen Parlaments. Die Kinder könnten noch stundenlang einem Straßenmusiker in den kleinen Gässchen lauschen.
Abendliche Impressionen vom Domberg und der Stadtmauer:

Handwerkskunst in der Altstadt

Am nächsten Morgen widmen wir uns weiter dem Pflichtprogramm und erkunden die Altstadt. Diese gehört mit ihren verwinkelten Gassen und ihren restaurierten gotischen Kaufmannshäusern zum UNESCO-Weltkulturerbe. Wir sind noch nicht weit gekommen, doch die Kids benötigen schon wieder eine kleine Stärkung und wir machen zufällig Halt im tollen Must Puudel. Günstig ist es hier nicht wirklich, dafür herrscht ein tolles Ambiente mit Vintage Chic. Auch gemütliche Kellerräume und ein schöner Innenhof laden zum Verweilen ein. Die Portionen sind eher klein, aber ausgesprochen lecker.

Erstes Ziel ist die Katharinen-Gilde in der Vene 12. Sie bietet interessante Einblicke in das Kunsthandwerk und lädt zum Einkaufen von Souvenirs ein. Hier werden verschiedene Keramik- und Holzarbeiten gefertigt. Ebenso individueller Schmuck, Stoffe und kunstvolle Hüte. Und das Beste daran: Man darf den Künstlerinnen bei der Arbeit genauestens zusehen.

Weiter geht es über den Rathausplatz, auf dem immer geschäftiges Treiben herrscht, Richtung Nordosten. Wir wollen raus aus der Altstadt und steuern die kreativen Viertel außerhalb des Zentrums an.

Kunst auf der Straße und im Museum

Hier, weitab vom Trubel der Altstadt, überraschen die Stadtteile Telliskivi und Kalamaja mit alternativen Shops, lässigen Lifestyle und hippen Cafés. Zahlreiche Häuserwände, Zugwaggons und Mauern wurden für Street Art genutzt. Die Zeit verfliegt und hinter jeder Ecke kann man etwas Neues entdecken.

Kunst gibt es in Estlands Hauptstadt natürlich auch in geschlossenen Räumen. Tallinn beherbergt das atemberaubende, riesige Kunstmuseum Kumu. Hier wird die größte Kunstsammlung des Baltikums auf sieben Stockwerken präsentiert. Über 60 000 Bilder, Plastiken und Drucke sind in der wirklich abwechslungsreichen und ansprechend gestalteten Ausstellung zu sehen. Es lohnt sich!

Fazit

Estland überrascht. Hier findet man tolle Natur und Ruhe ebenso wie Kunsthandwerk, spektakuläre Museen und lässige Street Art. Und Städte am Meer finde ich sowieso besonders anziehend.
Es hilft nichts: Wir müssen wiederkommen, um auch den Norden und Osten Estlands zu entdecken. Denn sechs Tage haben für die kleinste baltische Republik noch lange nicht ausgereicht.

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